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Wer hat´s erfunden?

„Sex muss schon sehr gut sein, um den Vergleich mit Neuer Arbeit auszuhalten.“ Frithjof Bergmann hat in den 70er Jahren den Begriff New Work erfunden und geprägt. Wie sieht er die Entwicklung heute und was ist das eigentlich für ein interessanter Kauz, der solch ein Zitat raushaut?

Er sprengt die Redezeit, er holt aus, er blickt zurück, er antwortet ausführlich, schweift ab – und doch sitzt jeder Satz, den er sagt – und trifft damit sowohl Hirn als auch Herz der im Schnitt 60 Jahre jüngeren Zuhörer. Frithjof Bergmann hat viel zu sagen. In Interviews, bei Vorträgen, in seinen Büchern. Er ist der Erfinder der New Work, sein Manifest zur Neuen Arbeit (http://newwork.global/deutsch/) ist heute aktueller denn je. Als er vor zwei Jahren beim New Work Experience Event in Berlin vor vollem Haus redete, wurde er im Rollstuhl auf die Bühne gefahren. Alt wirkte der inzwischen 88-jährige Philosoph trotzdem nicht.

Mit blitzenden Augen erzählte er von den Anfängen der New-Work-Bewegung Ende der 70er Jahre in den USA – die quasi als Antwort auf die Automatisierung in der Autoindustrie, die tausende Jobs überflüssig machte, entstanden war.
Die Kernfrage, mit der immer alles beginnt, lautet: Was willst du wirklich, wirklich tun?

Arbeit als milde Krankheit

„Doch das Wollen ist ein sehr problematisches Etwas“, sagt Bergmann. Denn das Organ, mit dem man will, sei den meisten Menschen durch Erziehung teilweise abgetötet worden. Deshalb verkümmern Menschen im alten Jobsystem, werden krank und schwach.

„Arbeit wird als milde Krankheit erlebt“, sagt Bergmann. Ähnlich wie bei einer Erkältung sage man sich aber ‚ich halte es schon noch bis Freitag aus‘.“

Der Mensch möchte aber etwas tun, was Bedeutung und Sinn macht. Das zu erreichen, ist Ziel der Beratungs-Zentren für Neue Arbeit, die es inzwischen nicht nur in Flint (USA) gibt, wo alles begann, sondern auch in Europa und verschiedenen Ländern der Dritten Welt.
Herauszufinden, was man wirklich, wirklich will, sei ein Prozess. „Ein Epos, denn es ändert sich dauernd.“ Bergmann weiß das nicht nur durch Studien und bloße Theorie. Er selbst ist immer wieder neue Wege gegangen. 1930 wurde er in Sachsen geboren, wuchs dann in Österreich auf und wanderte in die USA aus. Da war er erst 19. Er arbeitete als Tellerwäscher, schlug sich als Preisboxer durch, ackerte als Hafenarbeiter und stand am Fließband. Immer wieder zog es ihn aufs Land oder in den Wald, wo er als Selbstversorger lebte. An der Universität Princeton studierte er Philosophie. Mit seinen etwas wirren Haaren und dem wachen Geist, wirkt er wie das Klischeebild eines weisen Gelehrten. Er selbst bricht es und sagt lächelnd: „Ich kann es nicht leugnen, ich bin irgendwie Professor, aber ich bin auch praktisch.“

Wertewandel längst im Gange

Und er ist ein Optimist. „Die Armut in Indien hat mir den Atem genommen“, erzählt Bergmann. Doch auch hier könne New Work etwas ändern, ist er überzeugt. „Wir schaffen dort in unseren Zentren ein neues, anderes Bauerntum“, sagt er. Dort wie auch sonst überall, könne die Neue Arbeit dafür sorgen, dass die Menschen zu einem großen Teil, das machen können, was sie zu einem menschenwürdigen Leben brauchen. Mithilfe neuer Technologien, könnten sie quasi zu Selbstversorgern werden, so die ganz pragmatische Idee.

Für ihn ist der Prozess hin zu einer neuen Arbeitswelt längst eingeleitet. Lebensqualität, Erfüllung, Selbstbestimmung – all das sind Werte, die von der Genertion X, Y und Z ernst und wichtig genommen werden. Darauf reagieren die Unternehmen. Sie bieten den Mitarbeitern nicht nur Geld und Posten, sondern binden sie mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und Möglichkeiten des Home-Office an sich. Projektarbeit statt lebenslang dasselbe tun, Coworking-Spaces eröffnen der immer größer werdenden Zahl von Freelancern und Start-Ups ganz neue Möglichkeiten des selbstbestimmten Arbeitens.

Die Technisierung schreitet galoppierend voran

Für Bergmann steht schon jetzt fest: Das galoppierende Tempo, mit dem die Technisierung gerade voranschreitet, wird dazu führen, dass noch viele, viele Jobs wegfallen. Wenn Autos sich selber fahren können, braucht keiner mehr die Fahrer. „Doch für mich ist die Tatsache, dass die Leute diese Jobs nicht mehr haben, kein Alptraum, sondern ein Grund zu feiern.“ Er meint das nicht zynisch. Er sieht es als Chance. Denn dann beginnt die Zeit, in der alle Menschen grundanders arbeiten werden.

Alles müsse – vom Kindergarten angefangen – darauf abzielen, den Menschen zu stärken. „Das wird großartig“, sagt er und lächelt wieder dieses weise Lächeln.


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New Work oder auch Die Revolution der Arbeit

Digitalisierung und Globalisierung transformieren nicht nur unsere Lebensweise, sondern auch unsere Arbeitsweise. Damit ist nicht nur der Einsatz digitaler Endgeräte gemeint. Auch zeitliche, räumliche und organisatorische Strukturen sind im Wandel.

Klare Arbeitsteilung, strenge Hierarchien und feste Zeitstrukturen stehen selbstbestimmtem Handeln und der Potentialentfaltung des Einzelnen gegenüber – wir befinden uns mitten im Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. Auslöser sind die Digitalisierung und die Globalisierung. Sie ermöglichen uns, flexible Vorstellungen umzusetzen statt nur den klassischen Strukturen zu folgen. Im Mittelpunkt dieses Wandels steht der Begriff New Work, der Trend ist in aller Munde, Medien berichten immer öfter über New Work, mehr und mehr Unternehmen orientieren sich an den neuen flexiblen Arbeitsweisen. Doch was bedeutet eigentlich New Work? Seit wann prägt New Work unsere Arbeitswelt und vor allem in welcher Art und Weise?

Nichts macht den Menschen unfreier als Arbeit

Angefangen hat alles Mitte der 1970er Jahre mit dem amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann. Er beschäftigte sich mit der Freiheit und stellte fest, dass den Menschen nichts unfreier macht als die Arbeit. Mit New Work entwickelte er ein Gegenmodell zum Kapitalismus. Arbeit soll den Menschen fortan mit Sinn erfüllen. Erst heute – 40 Jahre später – findet seine Theorie Gehör. Flexible Methoden lösen das veraltete Arbeitsmodell ab.

Das Konzept der modernen Arbeitsweise

New Work oder auch Neues Arbeiten beschreibt das Konzept der modernen Arbeitsweise in unserer digitalisierten und globalisierten Welt. Im Mittelpunkt stehen die zentralen Werte Selbstständigkeit, Freiheit und die Teilhabe an einer Gemeinschaft. Das Individuum handelt selbstbestimmt und entfaltet all sein Potential. Globalisierung ermöglicht es zum Beispiel, international zu arbeiten, durch die Digitalisierung können wir zeit- und ortsunabhängig arbeiten. So nutzen Arbeitnehmer nicht nur immer öfter die Möglichkeiten des Home Office oder von Coworking Spaces weltweit, auch die Strukturen im Unternehmen verändern sich. Es wird zum Beispiel Projektbezogen statt Abteilungsintern gearbeitet, um das Talent des Einzelnen zu nutzen und zu fördern. Teamarbeit löst die klassische Hierarchie ab.
Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt: Das Konzept ist nicht in jeder Branche anwendbar. Handwerker können schließlich nicht mitten in der Nacht beginnen, Wände einzureißen und Krankenschwestern sind ans Krankenhaus gebunden. New Work richtet sich vor allem an Service-, Informations- und Kreativarbeiter.

Auch erfordert New Work ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Verantwortungsbewusstsein. Man muss sich neuen Herausforderungen stellen, um im Team Ziele zu erreichen. Denn jeder trägt nun Verantwortung.

Die Revolution der Arbeit auf einen Blick

Der Berufsalltag vieler Branchen wird komplett umgekrempelt: Voraussetzung dafür ist eine hochwertige technische Infrastruktur, ohne WLan geht beispielsweise nichts. Flexible Spaces lösen triste Bürogebäude ab, wir können uns aussuchen, wann wir arbeiten und müssen nicht mehr um Punkt 8 Uhr am Schreibtisch sitzen. Unser Chef hat nichts dagegen, er schätzt uns als vollwertigen Kollegen, nicht mehr als bloße Arbeitsressource. So können wir unsere Ideen einbringen und miteinander als Team arbeiten. Aber Vorsicht: Selbstdisziplin ist das A und O für eine gesunde Work-Life-Balance, Wandlungsfähigkeit ist Voraussetzung und auch konstruktiver Austausch im Team ist wichtig für Neues Arbeiten.

Illustration: Kolo, Frank Höhne